03. Oktober 2012
Grundproblem verkannt

Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital

Peer Steinbrücks halbherzige Vorschläge zur «Bändigung der Finanzmärkte»

 

Peer Steinbrück hat sich bekanntlich mit seinem Vorschlag zur Bankenregulierung als Kanzlerkandidat erfolgreich in Position gerückt. Nicht nur der Titel, der eine «Bändigung der Finanzmärkte» verspricht, sondern auch die einleitende Passage scheint auf einen Paradigmenwechsel in der vorherrschenden politischen Programmatik hinzudeuten, für die ja auch und vor allem Steinbrück und mit ihm und vielen anderen die neoliberal bzw. marktgläubig gewandelte Sozialdemokratie stand. (Mit Hinweisen wie dem, man möge mit «etwas mehr Stolz» auf die Agenda 2010 zurückblicken, zeigt Steinbrück, dass er dafür zu guten Teilen auch weiterhin steht).

Ein politischer Paradigmenwechsel hin zur «demokratiekonformen Marktwirtschaft»?

Politische Autonomie sei zurückzugewinnen. In der Politik müsse endlich wieder um die Frage gestritten werden, «in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen». (Das SPD-Urgestein Erhard Eppler rieb sich ja vor einiger Zeit verwundert die Augen, wie es denn sein könne, dass «Politik nicht mehr mit der Frage zu tun hat, wie wir leben wollen, sondern mit der Frage, wie wir zu leben haben.») An die Stelle der «"marktkonformen Demokratie"» soll eine «demokratiekonforme soziale Marktwirtschaft» treten. Dies ist der erklärte Abschied vom Ökonomismus der bisherigen Politik. – Übrigens, eine «marktkonforme Demokratie» haben wir nicht erst seit Angela Merkels entlarvendem Fauxpas, sondern bereits seit dem Wandel der Politik praktisch aller maßgeblichen Strömungen hin zu einer Politik im Modus des Muss und der «Wirtschaftskompetenz».

Vom Blasenaufbauer zum Blasenabbauer?

Für die Rückgewinnung politischer Freiheit («Volkssouveränität») bildet die «Bändigung der Finanzmärkte» bzw. des Kapitals in der Tat den entscheidenden Anknüpfungspunkt. Spät macht sich Steinbrück daran, die Blase abzubauen, die er ja bislang tatkräftig aufzubauen half – etwa indem er, wie er Jörg Asmussen und sein Team im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2005 festhalten ließ, den Finanzsektor von «überflüssigen Regulierungen» befreien und den «Verbriefungsmarkt» ausbauen wollte. (Vgl. zur Vorgeschichte hier. Sie zeigt, dass bereits 2003 massenhaft toxische Papiere in den Bilanzen der Banken schlummerten, deren Toxizität qua Verbriefung verschleiert und deren Nominalwert durch den Wertpapierhandel weiter aufgeblasen werden sollte). Auch hat Steinbrück, der als Finanzminister meinte, in den «Abgrund» gesehen zu haben (was ihm die versammelten «Herzöge der Bankenwelt» eingeflüstert hatten), an exponiertester Stelle daran mitgewirkt, die Blase mit den Steuermitteln der Beschäftigten abzusichern, womit den Banken [bzw. dem Kapital] «sehr großzügige Geschenke» gemacht wurden; «die Möglichkeit einer geplanten Insolvenz» von IKB und HRE wurde unter seiner Führung gar nicht erst geprüft (vgl. auch hier und hier).

Die Vorschläge zur Bankenregulierung, denen auch Steinbrück-Kritiker wie etwa Jens Berger gute Noten ausstellen, sollen hier nicht im Einzelnen beurteilt werden. Es wird davon ausgegangen, dass diese die Spekulation im engeren Sinne (zum Begriff sogleich) ein gutes Stück eindämmen werden. (Fraglich ist dabei allerdings, ob durch die Vorschläge Steinbrücks nur eine weitere Aufblähung verhindert werden soll, oder ob auch die bestehenden Bankenbilanzen wieder heruntergefahren werden sollen, Blasenkapital also vernichtet würde. Diese Bankenbilanzen seien, so Steinbrück, durch «spekulative Handelsgeschäfte auf eigene Rechnung seit Ende der 90er Jahre immer weiter aufgebläht» worden, was seine Ursache im «Renditehunger» der Banker (bzw. der Rentiers) einerseits, in einer «Deregulierung» der Politik andererseits hatte, die Steinbrück, was er vergisst zu erwähen, selbst mit vorangetrieben hatte. Allein für die Landesbanken wird ein «signifikanter Rückgang der Bilanzsumme», also eine Bilanzverkürzung und damit ein Abbau von Kapitalbeständen, ausdrücklich anvisiert.)

Die beiden ethischen Probleme mit dem Kapital

Vielmehr stellt sich die Frage, ob Steinbrück das Kapitalproblem verstanden hat. Zur Erinnerung: Das Kapital – es sind ja nicht einfach «die Banken», wenn auch deren gierige und durch Boni gierig gemachten Manager wichtige Treiber sind, sondern die Einleger und Anleger, die sich der Banken bedienen – ist aus zwei Gründen ethisch problematisch:

  1. weil es Druck auf Beschäftigte ausübt und den weitgehend «unsichtbar» ablaufenden Wettbewerb zwischen ihnen verschärft (heute: im globalen Gesamtmarkt), – zur Klarstellung: dies ist nicht prinzipiell schlecht, aber eben auch nicht prinzipiell gut, sondern eben problematisch;
  2. weil durch den Wertpapierhandel, der an sich ein monetäres Nullsummenspiel zwischen sich wechselseitig «abzockenden» Anlegern ist, Blasen im engeren Sinne entstehen, die die Bankenbilanzen aufblähen, und wenn die Blase platzt, nehmen die Banken ihre Kundschaft (realwirtschaftliche Akteure, die mit ihren Vermögen in ihren Bilanzen stehen) in Geiselhaft gegenüber der Politik und rufen: "Wenn wir pleitegehen, reißen wir Euch alle in den Abgrund." Dies nennt Steinbrück das «Erpressungspotenzial» der Banken, vor allem derjenigen, die «too-big-to-fail» seien.

Blindheit zur Seite des realwirtschaften Wettbewerbs

Mit keiner Silbe erwähnt Steinbrück das erste, das eigentliche Problem. Aus seiner Sicht ist das Problem letztlich allein in denjenigen «Gewinnen» zu erblicken, die «im Casino der Handelsräume» erzielt wurden, womit allein der zweite Problembereich angesprochen ist. Er setzt diese Gewinne, die im Handelsbereich, also im Wertpapierhandel nominell erzielt wurden, in Anführungszeichen, womit gesagt sein soll: es sind ja bloß Scheingewinne. Profit and Loss, also die Wirkung des Wettbewerbs, wenn er denn "frei" wäre, würde diese «extremen Renditen» wieder zum Verschwinden bringen. Das geht aber nicht, da die «Risiken» der Banken (die an sich deren Eigeninteressen betreffen), qua «Erpressung», auch unsere «Risiken» sind. Genau und allein darauf sind die Vorschläge Steinbrücks, etwa zur Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking, zugeschnitten: Die «Erpressung» soll ein Ende haben.

Ist die Demokratie nur wegen der Bail-Outs «marktkonform» geworden, also schleichend unterlaufen und entkernt worden? Sicher, die Lasten, die den Steuerzahlern "kapitalmarktmachtkonform" aufgebürdet wurden – weitgehend Normalbürger, da das Kapital ja steuerlich privilegiert wurde und sich daran auch kaum etwas ändern soll – sind gigantisch. Steinbrück spricht von 1,6 Billionen Euro, die europäische Regierungen für die «Rettung ihres Bankensektors» aufgebracht haben. Aber haben wir etwa vor all den Bail-Outs politisch darüber gestritten, worin Lebensqualität besteht, wie wir leben wollen, und was ein solidarische Gesellschaft und eine faire Wirtschaftsordnung ausmachen würde? Kreist der politische Diskurs seit mindestens zehn-zwanzig Jahren nicht letztlich allein um die Frage, wie die «Wettbewerbsfähigkeit» des zu einem «Standort» degradierten Gemeinwesen mit all seinen Bürgern im – pardon – Wirtschaftskrieg der Nationen vor allem um die Gunst des global nach rentierlicher Anlage suchenden Kapitals mindestens zu erhalten, wenn nicht zu steigern ist? (Dass dies für Deutschland ein Pyrrhussieg war – wenn man denn für einmal eine solche kriegerische und zudem die Interessengegensätze innerhalb des Landes einebnende Formulierung zulassen will – wurde hier gezeigt: Deutschlands Exportindustrie hat Griechenland et al platt gewalzt und sodann die Überschüsse in den Südländern angelegt, die deren Beschäftigte natürlich letztlich nicht bedienen konnten; und nun sollen die Verlierer dieser Politik hierzulande dafür bürgen. Dies ist «Marktwirtschaft grotesk».)

Nach wie vor intakte Kapitalmarktgläubigkeit

Von all dem ist bei Steinbrück nichts zu lesen. Er will das Ende der "Hofierung" des Spekulationskapitals, aber nicht das Ende der «Hofierung des Unternehmerkapitals» (Hans-Werner Sinn). Die Kapitalmarktgläubigkeit ist voll intakt. Wie zu Zeiten des 2005er Koalitionsvertrages heißt es: «Neue Möglichkeiten für Geldanlagen, Investitionen oder Finanzierungen für Bürger und Unternehmen führten zu sinkenden Kreditzinsen» und diese dann zu einer «Stärkung von Wachstum und Beschäftigung.» Je mehr Kapital im Spiel ist, desto besser, desto besser für alle. Nur darf es nicht im «Casino» "verschwendet" oder missbraucht werden. Die «Finanztransaktionen» dürfen «den Bezug zur Realwirtschaft» nicht verlieren. Wenn das Kapital zur «Finanzierung der Realwirtschaft» eingesetzt wird, dann ist es unser aller Diener – es trägt dann «zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums» bei, das offenbar kostenlos und anstrengungsfrei vom Himmel der Metaphysik des Marktes fällt. Und es dient auch noch, offenbar ebenso schmerzfrei, «zur Wohlstandssicherung von Millionen von Anlegern», deren Renditeansprüche natürlich alle berechtigt sind. (Entsprechend wird der Begriff des «Vertrauens», den Steinbrück ins Zentrum seiner Überlegungen stellt, ganz und gar harmonistisch verwendet: Als sei das «Vertrauen» der Rentiers darin, dass die Beschäftigten ihnen ihre Renditen schon verschaffen werden, identisch mit dem «Vertrauen» aller Bürger in die «Gestaltungsfähigkeit von Politik» – womit natürlich gemeint sein muss: in die Fähigkeit der Politik, die wirtschaftlichen Interaktionsverhältnisse lebensdienlich und fair zu gestalten.)

Wer sind die ökonomischen Experten im Hintergrund?

Steinbrück hat sich natürlich von Ökonomen, darunter auch Finanzmarkt- und Bankspezialisten, beraten lassen. (Wer waren eigentlich die Ghostwriter? Er selbst kann dieses Papier unmöglich alleine verfasst haben. Pikant übrigens die Arbeitsteilung zwischen ihm als Finanzminister und seinem Staatssekretär Jörg Asmussen, der offenbar der «eigentliche» Finanzminister seiner Amtszeit war. Die Zuarbeiter, die Steinbrück heute zur Verfügung stehen, kann er unter anderem über seine Vortragshonorare, die er ohne Ministernimbus in diesem Umfang kaum je erhalten hätte, relative locker finanzieren. Ohne finanzielle Zuwendungen keine Expertisen. Und ohne diese kein Gehör. Die Gefahr der Korrelation zwischen Finanzausstattung und Ausrichtung auf Finanzinteressen wird hier knapp problematisiert. Oder anders formuliert: Wenn nicht einigermaßen massiv Fördermittel in die Stützung und Weiterentwicklung einer ethisch anders ausgerichteten ökonomischen Expertise fließen, dürften wir kaum weiterkommen als bis dahin, wo Steinbrück derzeit steht.) Steinbrück muss den – letztlich ethisch-normativen – Blick seiner Berater auf die neuralgischen Punkte der marktwettbewerblichen Interaktionsverhältnisse (die zwischen Kapital und Beschäftigten bzw. Realwirtschaft eingeschlossen) weitgehend übernehmen. Was bleibt ihm anderes übrig? Er müsste sonst eine alternative Theorie der Rolle des Kapitals im «Prozess der schöpferischen Zerstörung» einer wettbewerblichen Marktwirtschaft selbst entwickeln.

Immerhin könnte er sich Rat holen bei Postkeynesianern wie Michael HudsonSteve Keen oder Heinz-J. Bontrup, die für Schuldenschnitte eintreten. Bei Vollgeldreformern wie Joseph Huber oder Helge Peukert. Oder bei Stagnationstheoretikern wie Norbert Reuter, die uns an den ökonomischen Grenzen des Wachstums angelangt sehen – so dass es, wie ich hinzufügen möchte, zu massiven Überforderungen der realwirtschaftlichen Akteure kommt, wenn, wie es Steinbrück wünscht, das Kapital «in vollem Umfang» in die Realwirtschaft fließt (statt im «Casino» verspekuliert zu werden). Oder er kann versuchen, die Hinweise einiger Banker richtig zu deuten.

Die Blase ist nicht nur ein Spekulationsphänomen

Die Blase ist nämlich nicht nur im «spekulativen» Wertpapierhandel entstanden. Vielmehr sind die Gewinne, die die Rentiers aus dem realwirtschaftlichen Wertschöpfungskreislauf ziehen und sodann vermehrt sehen wollen, zu hoch. (Zu den Rentiers zählen wir übrigens mehr oder minder alle, sobald wir nur schon ein Sparkonto haben.)

Einige Banker haben sich ja gegen das von Steinbrück und vielen anderen anvisierte Trennbanken- system ausgesprochen – offenbar, um ihre eigenen Pfründe zu sichern. So ganz unrecht haben sie aber darin nicht, dass es nicht nur ums «Too-big-to-Fail» einzelner Universalbanken geht, sondern ums «Too-interconnected-to-Fail». So argumentiert auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Herbert Walter. Er liefert massenhaft Belege für die obige These, dass nicht erst die Aufblähung nomineller Wertpapierbestände durch Wertpapierhandel (welches unter anderem das Investmentbanking besorgt) zu einer Blase führt, sondern bereits der Anteil, der aus dem Wirtschaftskreislauf herausfällt und nun als Kapital zur Verfügung steht, zu hoch ist. Dabei kann es sich übrigens auch um Beschäftigteneinkommen handeln, die nicht konsumiert, sondern gespart werden, also dem laufenden Wirtschaftskreislauf entzogen werden, um sodann als Kapital verwendet zu werden, also dafür, den Wirtschaftskreislauf durch «schöpferisch-zerstörerische» Investitionen zu öffnen bzw. Wachstum zu erzeugen bzw. zu erzwingen (Problembereich 1). Allerdings ist die sog. Grenzneigung zum Konsum bei Kapitaleinkommen, die zu guten Teilen den Reichen und Superreichen zufallen, kleiner. Das alles kann ja nicht mehr konsumiert werden, da hilft auch keine Plutonomy weiter, deren Pointe darin besteht, dass die Supereichen ihre Gewinne doch zu guten Teilen, qua Luxuskonsum, verkonsumieren sollten. Darum boomt zwar die Yachtindustrie. Dies aber reicht nicht, um die gigantisch angewachsenen und stark konzentrieren Vermögen – weit ab von jeder Leistungsgerechtigkeit – im bestehenden Wirtschaftskreislauf zu halten. Folglich "müssen" sie investiert werden. (Natürlich wäre die Alternative ihre Besteuerung.)

Überschüssige Einkommen und die Anlagennot der Rentiers

Walter möchte zeigen, dass das Problem nicht allein im isoliert zu betrachtenden "spekulativen" «Eigenhandel» der Banken mit Wertpapieren («Investmentbanking») zu verorten ist, dessen Spielgeld doch besser, wie alle Welt meint, "in der Realwirtschaft" zu investieren sei. In dieser nämlich gibt es kaum noch etwas zu holen. Das Kapital befindet sich folglich im Anlagenotstand. Daher flüchten die Rentiers sich in das Nullsummenspiel des Wertpapierhandels (so formuliert es Walter natürlich nicht). Es fließt zu viel überschüssigen Kapital aus dem Wertschöpfungskreislauf. So könnten «Mittelstands- banken» nur «magere Kreditmargen» bieten, was schlicht zeigt, dass die Realwirtschaften, in die sie investieren, nicht in der Lage sind, die von den Einlegern erwarteten Renditen zu erwirtschaften (Problembereich 1). Darum haben die Rentiers «Kapitalmarktpapiere» erworben, sich also am spekulativen Nullsummenspiel beteiligt, sich an diesem allerdings «verhoben», was sie «in den Abgrund» zog (Problembereich 2). Gleiches gilt für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die «traditionell einen Einlagenüberhang» aufweisen. Die Banken wissen also gar nicht wohin mit all den als Kapital verfügbaren Einkommen, die ihnen die Einleger, und hier wohl vor allem, aber nicht nur, das einkommensstärkste Zehntel, anvertrauen (Problembereich 1). Also legen sie dieses Geld «am Kapitalmarkt oder im Interbankengeschäft» an (Problembereich 2) – in der Hoffnung, dort mehr als eine bloß «geringe Verzinsung» zu erzielen.

Dies ist ihnen ja auch weitgehend gelungen. Nur sind dies eben, wie die Krise zeigt, Scheinrenditen (Problembereich 2). Walters vollständig absurde Schlussfolgerung daraus lautet: Da im Kreditgeschäft nur noch bloß «mickrige Renditen» zu erzielen sind – nur hier wird Kapital ja tatsächlich in die Realwirtschaft investiert, also den besonders marktfitten Beschäftigten (Unternehmen) gegeben, auf dass diese im zerstörerischen Wettbewerb anderen ihre Einkommensposition streitig machen (Problembereich 1) – sind die Kapitalbestände nicht etwa abzubauen (etwa durch ihre Besteuerung). Vielmehr soll den Rentiers der Ausweg des Wertpapierhandels nicht verbaut werden, auch wenn es ein Illusionsgeschäft ist (was Walter allerdings nicht verraten will). Oder: Da sich die «Altersvorsorge-Lücke» mit realwirtschaftlichen Investitionen «nie und nimmer schließen» lasse, soll nicht etwa der durch und durch kapitalmarktgläubige Irrsinn des Kapitaldeckungsverfahrens aufgegeben werden; vielmehr sollen die Anleger ihr Kapital weiterhin den Investmentbankern gegen dürfen, auf dass diese ihr spekulatives Nullsummenspiel weiterhin betreiben können. Und da der Wertpapierhandel die nominellen Kapitalbestände aufblähen wird, soll ein «staatlichen Sicherheitsnetz» installiert werden, das die Rentiers auszahlt, wenn die Blase voraussehbar platzen wird. Walter möchte Bail-Outs zum staatlichen Prinzip erklären. (Vielleicht ist er mit dieser Botschaft heute als Berater unterwegs? Das könnte sich lohnen...) Die Beschäftigten sollen dieser Logik nach so oder so zahlen: Da der realwirtschaftliche Weg im Prozess schöpferischer Zerstörung weitgehend verbaut ist (Problembereich 1), sollen sie den Rentiers qua Geiselhaft bzw. qua «Erpressung» (Steinbrück) als Steuerzahler die gewünschten Gewinne verschaffen (Problembereich 2).

Was «Bändigung der Finanzmärkte» heißen müsste

Diesem Weg möchte Steinbrück eine deutliche Absage erteilen. Doch verschließt er sich der Erkenntnis über die Rolle, die das Kapital im realwirtschaftlichen Prozess der «schöpferischen Zerstörung» tatsächlich spielt und bleibt nach wie vor in der Kapitalmarktgläubigkeit ge- und befangen. Die Banken bzw. das Kapital war noch nie ein "Diener" bzw. ein «Dienstleister der Realwirtschaft» (Steinbrück) und wird es nie sein. Es «dient» allenfalls den wettbewerbsfähigen und -willigen, also den marktmächtigen Marktteilnehmern – und sich selbst. Diese unsichtbare "Peitschenwirkung" ist in der Tat die Quelle des Wachstums. Aber brauchen wir mehr davon? Ist die Güterfülle, über die wir volkswirtschaftlich verfügen, zu gering? Heute führt die Zunahme des Wettbewerbsdrucks vor allem zur Ökonomisierung der Lebensverhältnisse. Wollen wir so leben? Immerhin stellt Steinbrück diese Frage. Doch wenn er allein das Spekulationskapital (Problembereich 2) in den Blick nimmt, unterbietet er das Problematisierungsniveau, welches diese Frage birgt. Und selbstverständlich ist diese Frage mit der gewichtigeren, mit der eigentlichen politischen Frage zu verbinden: Dürfen die Marktmächtigen und die Rentiers den Rest der Welt beliebig unter Wettbewerbsdruck setzten? Manifest wird diese Frage vor allem als Verteilungsfrage, die als Fairnessfrage zu stellen ist.

Der «unsichtbar» ablaufende Kampf zwischen Kapital und Beschäftigten bzw. Realwirtschaft, der teilweise ein intrapersonaler Konflikt ist, das ist das eigentliche Problem. Er erfordert eine weltinnenpolitische Anstrengung, zu deren Kern der Abbau großer Teile der massiv angestiegenen Vermögensbestände zählt. Dies wäre die «Bändigung der Kapitalmärkte». Die Bemühungen zum Abbau der rein spekulativ angewachsenen Vermögensbestände, die im Prinzip genau so wieder verschwinden können, wie eben ein Aktienkurs, der heute steigt und morgen fällt, sind demgegenüber geradezu politische Peanuts.