02. Januar 2013
Auswege aus der Eurokrise

Ulrich Thielemann
Kategorie: Kapital, Fairness, Steuergerechtigkeit

Griechenland, Steuerhinterziehung und der Schuldenschnitt

Die Deutsche Presseagentur (dpa) interviewte mich kurz vor Weihnachten zum Themenfeld Griechenland, Steuerhinterziehung und Eurokrise. Es ist nun online, etwa hier.

Hier das Interview in voller Länge, inkl. einiger Links. Die Fragen stellte Ruppert Mayr von der dpa.

In der publizierten Fassung fehlen insbesondere die Hinweise auf die Notwendigkeit des Abbaus der gigantisch angewachsenen Vermögensbestände («Schuldenschnitt»). Selbst die Boston Consulting Group erachtet diesen Schritt in einer sensationellen, bereits Ende 2011 vorgelegten Studie für unausweichlich.

1. Wieso geht die griechische Bevölkerung mit den griechischen Steuerbetrügern so zurückhaltend um?

 

Tut sie das? Meinem Kenntnisstand nach sind die griechischen Normalbürger stinksauer auf die wohlhabenden Griechen, die schon vor der Krise steuerlich privilegiert wurden. Etwa die Reeder, die jede nennenswerte Besteuerung damit kontern, dann ginge man eben ins Ausland. Und nun verlassen die Wohlhabenden das sinkende Schiff, jedenfalls pekuniär, indem sie ihr Vermögen ins Ausland verschieben oder bereits verschoben haben. [Vgl. zum wichtigen Unterschied zwischen einer Abwanderung ad personam und einer solchen bloß ad pecuniam diesen Text.] Etwa in die Schweiz oder nach Luxemburg. Oder sie suchen ihr unversteuertes Vermögen hier in Berlin in Betongold umzuwandeln. Die Größenordnung der am Fiskus vorbei ins europäische Ausland verschobenen Finanzvermögen könnte die Staatsverschuldung Griechenlands übersteigen. [Dies wird hier, hier und hier behauptet.]

Weil die großen Fische keine Steuern zahlen und dabei auf einen notorisch korrupten Staat zurückgreifen können, sagen sich auch viele griechische Kleinbürger: Warum soll ich Steuern zahlen, wenn mein Beitrag doch eher bescheiden ausfällt und ich heute auch noch ökonomisch schon am Anschlag bin? Das sind dann etwa die Gastwirte auf den griechischen Inseln, die komischerweise nie Quittungen ausstellen. Es ist ein Teufelskreis. Zu zahlen haben die Rechnung in Griechenland dann die Arbeitnehmer, wenn sie denn noch einen Job haben, denn deren Steuern werden ja gleich vom Lohn abgezogen. Die deutlich gestiegenen Verbrauchssteuern treffen ebenfalls vor allem Normalbürger.

2. Was kann Europa, was können die internationalen Geldgeber daran ändern?

Auch wenn die Staatsschuldenkrise Griechenlands nicht allein auf das marode Steuersystem und die fehlende Steuermoral zurückzuführen ist, so ist es doch zwingend, hier anzusetzen. In der gegenwärtigen Krise kommt Griechenland allein kaum aus dem steuerlichen Teufelskreis heraus. Denn wegen der Krise brechen die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen weiter ein. Diese Krise wird durch die Austeritätspolitik, die Spar- und Reformprogramme, die die kleinen Leute weit übermäßig und in untragbarer Weise trifft, weiter verschärft.  (Denn wenn die einen weniger ausgeben können, nehmen die anderen weniger ein, können ihrerseits weniger ausgeben, usw. usf.)

Anzusetzen ist vielmehr bei der europäischen Zusammenarbeit in Steuersachen. Es darf nicht sein, dass europäischen Staaten den Steuerflüchtlingen helfen – und damit letztlich auch ihre eigene Bürger dazu zwingen, die dadurch in Griechenland entstandenen Steuerlücken durch «Rettungspakete» auszugleichen, um den Euro zu retten.

Ein ermutigender Schritt hierzu ist, dass Luxemburg nach dem Scheitern des Deutsch-schweizerischen Steuerabkommens kaum mehr darum herumkommt, den automatischen Informationsaustausch auch EU-weit anzuerkennen. Auch die Schweiz hat signalisiert, wenn auch zähneknirschend, dass sie sich dem automatischen Informationsaustausch kaum mehr entziehen kann. Damit dürften die Tage des Schwarzgeldgeschäfts gezählt sein. Auf viele griechische Wohlhabende werden wohl Steuernachzahlungen und Steuerstrafen zukommen, die sich auf viele Milliarden aufsummieren und einen wesentlichen Anteil zur Sanierung des griechischen Haushalts beitragen dürften.

3. Sind die Anwürfe gegen Deutschland und die internationalen Geldgeber berechtigt?

Zunächst sollten sich alle Beteiligten von der Sicht befreien, hier ginge es um die Interessen «der Deutschen» die gegen diejenigen «der Griechen» stünden. Es geht vielmehr um Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen, auch um einen Konflikte zwischen ökonomischen Funktionen. Und die beiden hier in Frage stehenden Funktionen sind im Wesentlichen «Kapital» und «Realwirtschaft». Das sieht übrigens auch Warren Buffett so, der findet, wie lebten in Zeiten eines «Klassenkampfes», wobei seine «Klasse», die der Rentiers, gewonnen habe, was er aber ganz falsch findet, weil es dem Ideal einer sozialen Marktwirtschaft widerspricht: der fairen, leistungsgerechten Teilhabe aller Beteiligten.

Seit den 1980er Jahren haben praktisch alle Staaten eine «neoliberale» Reformpolitik installiert, die darin bestand, das Kapital zu «hofieren», wie es Hans-Werner Sinn formulierte und forderte. Denn nur so könnten ja die weggefallenen Arbeitsplätze wieder geschaffen werden. Eine Folge war, dass in Deutschland das gesamte Wachstum der letzten 20 Jahre eben an dieses Kapital geflossen ist. [Vgl. für die letzten 10 Jahre dies; für die letzten 20 Jahren Harald Schumann.] Da aber wegen der Lohnsenkungen im Inland keine entsprechende Nachfrage mehr vorhanden war, wurde das sozusagen überschüssige Kapital exportiert – etwa nach Griechenland. Auch wurden massiv Güter exportiert, etwa nach Griechenland, was massive Außenbilanzdefizite der griechischen Wirtschaft zur Folge hatte. Nur, die Griechen konnten dies letztlich gar nicht bezahlen und auch die Kredite nicht bedienen.

Insofern lässt sich natürlich schon sagen, «die Griechen» hätten «über ihre Verhältnisse» gelebt und insofern sind «die Anwürfe gegen Deutschland» unberechtigt. Nur kann man hier zunächst fragen, ob die griechischen Normalbürger so schrecklich viel von den – etwa aus Deutschland – importierten Rüstungsgütern hatten oder von den prestigeträchtigen Infrastrukturprojekten wie etwa dem Athener Großflughafen, die mit ausländischer Hilfe gebaut wurden. Oder von den vielen auf Pump importieren Porsche Cayenne. Wie dem auch sei, jedenfalls müssen sie nun dafür die Zeche zahlen. Aber sie können es nicht, und sie werden es wohl niemals können. «Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, sind keine.» So formuliert dies der US-amerikanische Ökonom Michael Hudson.

Doch werden sie weiterhin zum Schuldendienst gedrängt, durch die sog. «Reformen», die einfach als untragbar zu bezeichnen sind. Und weil sie durch diese Austeritätspolitik gewissermaßen erst recht nicht in der Lage sein werden, die Schulden zu bedienen, wird der deutsche Steuerzahler dafür einspringen müssen. Und das sind dann kaum die Profiteure der neoliberalen Politik, da die Vermögensrentiers ja weiter unterproportional besteuert werden.

Natürlich ist dies der falsche Weg. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich hatte bereits im letzten Jahr festgehalten, dass die Welt im Ganzen überschuldet ist. [«At moderate levels, debt improves welfare and enhances growth. But high levels can be damaging… debt is rising to points that are above anything we have seen, except during major wars.”] Die Boston Consulting Group hat daraus die Konsequenzen gezogen. Erforderlich seien «drastische Maßnahmen», nämlich in Form des «Ausradierens des Schuldenüberhangs», sei es durch Abschreibungen oder durch die Wegbesteuerung von Vermögensbeständen. Hierbei handelt es sich ohnehin zu guten Teilen um Phantomvermögen, da sie niemand mehr wird bedienen können. (Die Boston Consulting Group beziffert die Schuldentraglast einer Volkswirtschaft auf 180% ihres Bruttoinlandproduktes, je 60% Unternehmens-, Privat- und Staatsschulden. Griechenland hat eine Schuldenlast von etwa 230% des BIP, Deutschland von etwa 220%.)

4. Werden die Banken (neben den reichen Griechen) auf Kosten der griechischen Bevölkerung geschont?

Wer sind «die Banken»? Deren Mitarbeiter, Management und Investmentbanker eingeschlossen, oder deren Aktionäre? Sicher auch. Aber die Banken haben kaum eine nennenswerte Macht ohne ihre Einleger. Geschont werde diese, das Kapital – das sind wir alle, allerdings einige weniger, andere weitaus mehr. Wenn der deutsche Steuerzahler «Griechenland» rettet, so reduziert sich zwar der Schuldenstand des Landes. Aber da fließt kein Cent in die Staatskasse oder an griechische Durchschnittsbürger. Es landet vielmehr ausdrücklich auf einem Sperrkonto. Und von dem werden dann die Gläubiger bedient. Das waren einmal unter anderem die deutsche Exportindustrie und die deutschen Rentiers, auch die Vermögenden Griechenlands. Die privaten Anleger wurde allerdings größtenteils ausbezahlt, auch wenn sie Kapitalschnitte hinzunehmen hatten – die allerdings unter den aktuellen Marktpreisen lagen (vgl. auch Roubini). Heute sind die Schulden im Wesentlichen in öffentlicher Hand. Die übertrieben angewachsenen Privatvermögen sind also kaum mehr greifbar. Darum wird die Besteuerung des Kapitals umso wichtiger.

In den Zeiten des Wirtschaftswunders, des Wohlstands für alle, der fairen Teilhabe breiter Bevölkerungskreise am Wohlstand, waren die Grenzsteuersätze, die im wesentlichen die Kapitaleinkommen betreffen, deutlich höher als heute. Sie lagen in den 1950er Jahre teilweise bei 90%, Ende der 1970er Jahre in den USA bei über 70%, hierzulande bei 56%. Ist dies nicht erstaunlich? Damals gab es ein Riesenwachstum und also eigentlich doch einen entsprechend riesigen Investitions- und damit Kapitalbedarf. Gleichwohl wurde das Kapital deutlich höher besteuert, sozusagen zu guten Teilen wegbesteuert.

Dieses Zusammentreffen von hoher Kapitalbesteuerung, hohem Wachstum und breiter Teilhabe am Wohlstand ist kein Zufall. Auch wenn man zu diesen hohen Wachstumsraten m.E. nicht zurückkommt und auch nicht zurückkommen soll, ist die Kapitalbesteuerung ein Schlüssel für das wirtschaftliche Wohlergehen breiter Bevölkerungskreise und für die faire Teilhabe aller am Wohlstand.

Doch fehlen den demokratischen Nationalstaaten die Möglichkeiten, das Kapital wieder angemessen zu besteuern. Denn es herrscht ja Steuerwettbewerb. Dieser muss ein Ende haben, denn er untergräbt die Steuerautonomie souveräner demokratischer Rechtsstaaten. Im Übrigen sind diese hohen, Million- oder gar Milliarden messenden Vermögen ja auch kaum als leistungsgerecht zu bezeichnen.